Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum 1769-1796

DFG-Projekt: Das „Museum Fridericianum als ein Ziel von Bildungs- und Forschungsreisen der europäischen Aufklärung. Kommentierte digitalisierte Edition des Besucherbuchs 1769-1796" (2° Ms. Hass. 471)

Friedrichsplatz - Historische Darstellung

Bearbeiterin: Andrea Linnebach

Statistische Auswertungen, Karten (PDF)
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
Dank

Einleitung

Das Museum Fridericianum in Kassel verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museumsneubau Europas wie kaum eine andere Institution das „Museum der Aufklärung“. Zur Förderung der Wissenschaften errichtet, zog es in seiner Kombination aus enzyklopädisch angelegter Sammlung, Bibliothek, Sternwarte und Sitz wissenschaftlicher Gesellschaften Besucher aus aller Welt an.

Ottoneum

Bereits für seine Vorgängerinstitution, das Kunsthaus im Ottoneum, hatte der Kustos Rudolf Erich Raspe (1736-1794) nicht nur Ideen zu einer kulturhistorischen Neuordnung entwickelt (Entwurf für ein „Gotisches Kabinett“). Im Jahr 1769 legte er auch ein „Fremdenbuch“ an, mit dem er ein Dokument sowohl für den vielfältigen Besucherverkehr schon in dieser Institution schuf, als auch für die Bedeutung, die die Besucher und ihre Betreuung für das Museum hatten und künftig haben sollten. Von 1779 an im neu eröffneten Museum Fridericianum weitergeführt, begleitet dieses Buch somit anschaulich den Wandel von der traditionellen Kunstkammer hin zum modernen Museum als einer öffentlichen Bildungsinstitution.

Als Verzeichnis von rund 14.000 Personen spiegelt das Besucherbuch die Anziehungskraft beider Einrichtungen auf ein sozial breit gefächertes, internationales Publikum: auf den Buchseiten begegnen sich in egalitärer chronologischer Reihung Personen des europäischen Hochadels und der Gelehrtenwelt, Vertreter von Diplomatie, Klerus, Militär, Kultur und Kommerz, Bürgersfrauen und Mätressen, Revolutionäre und Emigranten, Schüler, Handwerker und Diener. Wie in kaum einer anderen Quellengattung zeigen sich hierin anschaulich die zeittypische Vernetzung und zugleich Auflösung von tradierten Zusammenhängen.

Museum Fridericianum - Ansicht von Süden

Die vorliegende Online-Edition verknüpft das Digitalisat des Originals mit dessen vollständiger Transkription, ergänzt um die systematische Erfassung, Ermittlung und Auswertung der bio-bibliographischen Fakten in einer auf insgesamt 28 Felder pro Besucher angelegten Datenbank. Diese ermöglicht, auch mithilfe beigefügter Diagramme und Karten, genauere Kenntnisse über die Besucherzahlen, über die Verteilung der Besuchergruppen nach Stand, Geschlecht, Alter, Religion, Herkunftsort, Nationalität, Beruf oder Studienfach sowie auch über historisch-politisch bedingte Veränderungen im Besucherzustrom. Die Edition liefert damit Informationen sowohl zur Besucherstruktur des Museums wie zu den Besuchern selbst, ja insgesamt zur geographischen Mobilität im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und die daraus resultierende Wissens- und Kulturzirkulation – so z. B. in den europaweiten Handelsverbindungen, in der Emigrationswelle der Revolutionsjahre oder in den Reiserouten von Diplomaten, Wissenschaftlern und Künstlern.

Großer Bibliothkessaal

Drei Datenbankfelder betreffen Informationen, die sich aus der parallelen Recherche in den Fremdenverzeichnissen der Kasseler Policey- und Commercien-Zeitung (PCZ) ergaben (das wörtliche Zitat aus der PCZ, die darin genannte Unterkunft der jeweiligen Besucher sowie das Stadttor, durch das diese kamen). Durch diese Angaben wurden zusätzliche Hinweise zur Identifizierung der Besucher und Besucherinnen, zu ihren Reisebegleitern, der Reiseroute, der Länge des Aufenthalts in Kassel und der Logis (Gasthäuser, Privatunterkünfte) gewonnen. Hiermit liegen auch Daten für eine frühe „Tourismus“-Forschung vor.

Unter den Museumsbesuchern fand sich eine unerwartet große Zahl bedeutender Persönlichkeiten der Aufklärungszeit, deren Anwesenheit in Kassel bislang nicht belegt war. Für all diese, zum Teil inkognito reisenden Personen werden hiermit neue Fakten für die Biographik verfügbar. Über die Auswertung des Besucherbuchs ergeben sich auch Einblicke in entstehende oder vorhandene Gelehrtennetzwerke (wer traf sich wann mit wem?) sowie in den Prozess der Wissenspopularisierung. In regionaler Verortung wie weltweiten Bezügen wird damit zugleich die Bedeutung des Kasseler „Collegium Carolinum“ als eines wichtigen Knotenpunkts im Kommunikationsnetz der Aufklärung erhellt.

Weißensteiner Saal

Die Edition belegt sowohl die Wirkung des „Museums der Aufklärung“ in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Bildungsgeschichte. Sie weist dadurch zugleich auch auf, welch bedeutende und bislang unterschätzte Rolle Kassel insgesamt durch dieses Museumspublikum unter den Zentren der europäischen Aufklärung einnahm.

Erstmals ist nun in einem herausragenden Beispiel das Besucherbuch eines Museums aus der Frühzeit der allgemeinen Museumsgeschichte komplett erschlossen und den weiterführenden Recherchen zur Kultur-, Wissenschafts- und Sozialgeschichte der europäischen Aufklärung zugänglich gemacht.

Das Projekt wurde im November 2008 von der DFG bewilligt; Beginn: März 2009, Laufzeit: drei Jahre, letzte abschließende Aktualisierung der Datenbank: 04.02.2013.

Weiterführende Literatur:

  • Renate Dürr: Wissenspopularisierung in der Aufklärung: das Kasseler Kunsthaus im Blickpunkt von "Liebhabern und Reisenden", 1769–1779. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v. Andreas Gardt, Mireille Schnyder, Jürgen Wolf. Berlin/Boston 2011, S. 147–162
  • Andrea Linnebach (Hg): Der Münchhausen-Autor Rudolf Erich Raspe. Wissenschaft – Kunst – Abenteuer. Kassel 2005
  • Dies.: „Mr Chaplin de Londres a vu avec le plus grand plaisir“. Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel, 1769-1796. Ein Editionsprojekt der DFG. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 114 (2009), S. 161–176
  • Dies.: Raspe, Rudolph Erich. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Hg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 9, Berlin u.a. 2010, S. 431-433
  • Dies.: In den „Sümpfen der Hypothesen“ – Wissensvermittlung auf Irrwegen: die Prillwitzer Idole und die landesarchäologische Forschung in der Aufklärungszeit. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v. Andreas Gardt, Mireille Schnyder, Jürgen Wolf. Berlin/Boston 2011, S. 293-310
  • Dies.: Das Museum der Aufklärung und sein Publikum – „Raritätenkram für jeden Narren“? Zum Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel. In: Die Sachen der Aufklärung. Beiträge zur DGEJ-Jahrestagung 2010 in Halle a. d. Saale. Hg. von Frauke Berndt, Daniel Fulda (= Studien zum 18. Jahrhundert, Bd. 34). Hamburg 2012, S. 479-489
  • Tondokument:
    Dies.: Das Museum der Aufklärung und sein Publikum. Vortrag zu den Ergebnissen des DFG-Projekts zum Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum 1769-1796, gehalten am 28.02.2012 in der Universitätsbibliothek Kassel, Eulensaal
  • Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissenswege. Der Bergpark Wilhelmshöhe als naturwissenschaftliches Forschungsfeld der Aufklärung. Kasseler Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Bd. 1, Kassel 2012